Seit 175 Jahren verstehen sich die Glashütter auf den Bau von höchst ganggenauen Zeitmessern der Spitzenklasse. Die Spezialisierung auf Marine-Chronometer ab 1886 befeuerte das Bestreben nach bestmöglicher Präzision zusätzlich, denn diese professionellen nautischen Instrumente galten als die technische Speerspitze der Branche. Sie kamen auf Handelsschiffen, bei Expeditionen und der Flotte des Kaiserreichs zum Einsatz. Ein Blick auf die Bedeutung des Glashütter Marine-Chronometers und ihre Hersteller im Gestern und Heute.
Im Laufe ihrer 175-jährigen Geschichte erlebt die Glashütter Uhrmacherei viele schillernde Höhepunkte – von den ersten bescheidenen Erfolgen, als Ferdinand A. Lange gemeinsam mit seinen treuen Weggefährten Carl-Moritz Grossmann, Julius Assmann und Adolph Schneider den Grundstein für einen neuen Wirtschaftszweig legt, über die Gründung der Deutschen Uhrmacherschule als Kompetenzzentrum und Talenteschmiede im Jahr 1878, bis hin zur Blütezeit der Glashütter Taschen- sowie Präzisionspendeluhr zum ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.
Wie Phönix aus der Asche mutet auch der Neuanfang nach der deutschen Wiedervereinigung vor 30 Jahren an, bei dem aus einem auf kostengünstige Massenproduktion ausgelegten, technisch veralteten Kombinat einige der begehrtesten Manufakturen der Welt hervorgehen. An die noble Tradition anknüpfend, sind ihre Zeitmesser heute wieder in feinen Juwelierhäusern auf internationalen Luxus-Shopping-Meilen in den besten Einkaufslagen gefragt. Das Spitzen-Know-how und die Fertigungstiefe, für die der erfolgreiche Wirtschaftsstandort weltweit bekannt ist, suchen ihresgleichen. Eine der glanzvollsten Leistungen, die auch die Herstellung aller folgenden Glashütter Zeitmesser maßgeblich beeinflussen sollte, ist die Marine-Chronometer-Fertigung, die sich ab 1886 bis zum Ende der DDR wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht.
Das ist nicht weiter erstaunlich für ein Handwerk, dessen Daseinsberechtigung in der Präzision liegt, und dessen Produkt bis 1913, als Zeitsignale über Funk versendet werden, die einzige Möglichkeit ist, derer habhaft zu werden. Erstaunlich ist hingegen, dass die groß angelegte Herstellung dieser besonders exakt gehenden Uhren, die bei wissenschaftlichen Messungen, im Zugverkehr sowie zur Längengradbestimmung in der Seefahrt und später in Zeppelinen und Flugzeugen eingesetzt werden, erst so spät erfolgt. Damals sind sie das Hoheitsgebiet der seefahrenden Nationen mit Kolonien in Übersee, wie Portugal oder Russland, und für Deutschland sprichwörtliches Neuland. Die Nase vorn hat das Britische Königreich, wo John Harrison bereits 1764 den ersten seetauglichen Zeitmesser erfand. Auch Frankreich ist, sowohl in der Herstellung mächtiger Schiffe als auch genau gehender
Chronometer, führend.
Die Eroberung der Welt bedarf präziser Zeitmesser
Mit der Neuordnung des Deutschen Reiches nach dem gewonnenen Krieg 1870/71 werden auch hierzulande die Flotte der Kaiserlichen Marine und die Handelsschifffahrt massiv ausgebaut. Um von den ausländischen Herstellern unabhängiger zu werden, befielt die Kaiserliche Admiralität, die Produktionskapazität im eigenen Land anzukurbeln. Stolze 900 Mark werden für einen Marine-Chronometer damals bezahlt, sofern er die strenge Prüfung der Kieler Sternwarte auf Gangabweichungen bei unterschiedlichen Temperaturen und Seegang bestanden hat. Am 9. Januar 1875 wird in Hamburg die »Deutsche Seewarte« gegründet, eine Institution, die sich auf maritime Geographie, Ozeanologie, Meteorologie und Nautik inklusive Seekartenwesen spezialisiert. Eine eigene Abteilung dient der Prüfung von Chronometern und Beobachtungsuhren, in der bis zum Zweiten Weltkrieg Marine-Chronometer getestet werden.
Sie entspricht zunächst noch den Vorgaben der Kieler Sternwarte. In den folgenden Jahren werden die Regularien jedoch immer strikter und schließen weitere Kriterien wie Luftdruck, Magnetismus, Bewegungsuntersuchungen und Sonderprüfungen ein, um die beste Qualität zu erreichen. Die Anforderungen könnten höher nicht sein, schließlich hängen von der einwandfreien Funktion die präzise Navigation und damit das Schicksal der wertvollen Schiffe und ihrer Besatzungen ab. Eine immer wichtigere Rolle spielt dabei die Herkunft: Mit der 35. Wettbewerbsprüfung im Jahr 1911 müssen alle Komponenten der eingereichten Stücke im Reichsgebiet hergestellt worden sein. Bis dahin durften immerhin noch Ketten und Federn aus dem Ausland kommen. Doch zurück ins Glashütte der 1880er-Jahre. Selbstverständlich stellen sich die Uhrenfirmen der neuen Herausforderung. Dank des hoch effizienten Verlagswesens und Zulieferersystems, das die Gründerväter unter der Federführung von Ferdinand A. Lange, der zu dieser Zeit beim Pariser Chronometermacher Wimmerl eine Weiterbildung absolviert, etabliert hatten, entstehen im technologisch autarken Tal der Zeitmessung bald die ersten Exemplare. Die Brüder Fridolin (1857 – 1912) und Paul Stübner (1860 – 1946), die heute als die Väter des Glashütter Marine-Chronometers gelten, stellen die ersten Stücke unter der theoretischen Anleitung von keinem Unbekannteren als Ludwig Strasser (1853 – 1917) her. 1886 schickt die Firma Lange die ersten beiden Modelle zur Prüfung nach Hamburg. »Die tägliche Gangabweichung durfte damals maximal 0,3 Sekunden betragen«, wie Reinhard Reichel, bis vor kurzem Leiter des Glashütter Uhrenmuseums und dem Haus immer noch verbunden, erzählt. Der ausgeprägte Fan dieser Uhrengattung gerät dabei ins Schwärmen, denn dieser Wert ist zu damaliger Zeit geradezu bahnbrechend und wird auch bei den Weltausstellungen in 1900 und 1904 mit Medaillen honoriert.
Genaue Vorgaben für das Glashütter Marine-Chronometer
In Größe, Formgebung, kardanischer Aufhängung und Gehäuse orientiert man sich an den englischen Konstruktionsmerkmalen.
Der auffälligste Unterschied ist die gegenläufige Richtung von Schnecke und Federhaus durch die gekreuzt aufgelegte Kette. Und, wie es in Glashütte zum guten Ton gehört, sind die sächsischen Modelle mit technischen Raffinessen ausgestattet, zum Beispiel der Grossman’schen Chronometerfeder- und Wippenhemmung oder der von Richard Lange (1845 – 1932) vorgestellten Chronometerhemmung.
In den folgenden Jahrzehnten gibt es einige technische und optische Veränderungen und Spezialanfertigungen, wie den Taschenchronometer, den Chronometer mit Gradmaßzifferblatt, der für Langstreckenflüge entwickelt wird, den Torpedo-Boot-Chronometer oder auf Sternzeit regulierte Exemplare. Deshalb seien an dieser Stelle die Merkmale des "normalen" Glashütter Marine-Chronometers, auf den die Historiker sich beziehen, genannt: Das Zifferblatt hat einen Durchmesser von 100 Millimetern. Das auf vier Pfeilern konstruierte Uhrwerk mit Feder-Chronometerhemmung ist mit Kette-Schnecke-Mechanismus sowie einem Auf- und Abwerk zur Anzeige der Gangdauer ausgestattet. Der Sekundenzeiger bewegt sich mit Halbsekundenschritten. Das Oeuvre mit kardanischer Aufhängung liegt in einem Mahagonihgehäuse mit jeweiliger Kantenlänge von 18,5 Zentimetern. "Diese raren Modelle sind heute in Sammlerkreisen begehrt", weiß Reinhard Reichel zu berichten. Dem Connaisseur sind auch die Namen der großen Chronometermacher und Regleure, die nicht jedermann bekannt sein dürften, ein Begriff. Besonderer Ruhm gebührt dem bereits erwähnten Fridolin Stübner, der ab 1890 bei Lange arbeitet und der 1897 gegründeten Abteilung Marine-Chronometer vorsteht.
Dem Meister der Präzision ist keine Uhr zu kompliziert, er wird als wahrer Künstler bezeichnet. Ebenfalls legendär ist Paul Thielemann (1880 – 1955), der nach der Lehre bei Strasser & Rohde 1905 in die Chronometerabteilung von Lange wechselt und über Jahrzehnte hinweg die hohe Qualität garantiert. Gleiches gilt für seinen Sohn Otto Thielemann (1910 – 1980), der im VEB Glashütter Uhrenbetriebe (GUB) die Leitung der Abteilung Marine-Chronometer übernimmt. Gustav Gerstenberger (1886 – 1983) macht sich nach Stationen bei Julius Assmann und Ernst Kasiske 1916 selbstständig und verwendet hauptsächlich Rohwerke von Paul Stübner. Noch mit 80 Jahren reguliert er Marine-Chronometer für die GUB, deren wichtigstes Exportgut der Marine-Chronometer ist.
Er wird in fast 30 Länder geliefert, unter anderem auch in die einstigen Zentren der Chronometerfertigung wie England und Frankreich. Aber auch Länder wie Brasilien, Chile, Nordkorea und Portugal vertrauen auf Präzision Glashütter Provenienz. Bis 1978 wird nach alter Tradition das Chronometer Kal. 100 gefertigt. Ab 1974 entstehen parallel die noch präziseren und robusteren Quarz-Chronometer.
Von Hamburg nach Glashütte und um die ganze Welt
Wenn von Chronometern und Glashütte die Rede ist, darf ein Name nicht fehlen: Wempe. Im Jahr 1938 übernimmt Herbert Wempe (1890 – 1963) die 1905 gegründeten Hamburger Chronometerwerke, die Schiffsuhren herstellen. Gemeinsam mit Otto Lange (1878 – 1971) plant er die Errichtung einer Weiterbildungsstätte für junge Uhrmacher. Als Unterkunft wird die Sternwarte auf dem Ochsenkopf diskutiert. Sie liefert den Glashütter Feinuhrmachern seit 1910 die exakte Zeit. Der Zweite Weltkrieg vereitelt die Ausführung des Planes.
Ab 1942 fertigen die Chronometerwerke Wempe in Hamburg und A. Lange & Söhne am Standort Glashütte für die Seestreitmächte den als »Einheitschronometer« bekannten Marine-Chronometer. Er wird später von der Ersten Moskauer Uhrenfabrik weiter produziert. Die einschlägige Literatur beziffert die Stückzahl auf insgesamt 58000 Exemplare, das macht das »Drei-Pfeiler-Werk« zum meist gebauten Schiffschronometer.
Doch zurück zu Herbert Wempe und seinem Vermächtnis. Im Jahr 2005 erwirbt seine Urenkelin Kim-Eva Wempe die heruntergekommene Sternwarte und richtet dort neben der unabhängigen Chronometerprüfstelle auch Produktionsräume für eine eigene Uhrenfertigung – die "Wempe Chronometerwerke Glashütte" mit Manufakturkalibern und die "Wempe Zeitmeister Glashütte" – ein.
Es versteht sich von selbst, dass die Uhren dieser Linien mit einem Chronometerzertifikat in Glashütte versehen werden. Denn in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Mess- und Eichwesen Thüringen und dem Sächsischen Landesamt für Mess- und Eichwesen ist die Sternwarte von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) als Kalibrierlaboratorium für Chronometerprüfungen zertifiziert. Die Prüfwerte und erlaubte Gangabweichung entsprechen exakt den Normen der Schweizer COSC. Während der 15-tägigen Gangprüfung werden die Zeitmesser bei verschiedenen Temperaturen (8, 23 und 38 Grad Celsius) und Luftfeuchtigkeitswerten getestet. Nur Zeitmesser, deren Gangabweichung zwischen minus vier und plus sechs Sekunden pro Tag liegt, erhalten ein Zertifikat. Eine Besonderheit der neu etablierten DIN 8319 ist, dass die Uhr sekundengenau einstellbar sein muss und das Uhrwerk den Testgang nicht separat, sondern komplett im Gehäuse montiert durchläuft. Damit gibt es in Deutschland nach beinahe vierzig Jahren wieder eine offizielle Prüfstelle für Chronometer. Auch wenn bei weitem nicht alle Glashütter Zeitmesser heute ein Chronometerzertifikat tragen, so ist doch das historische Vermächtnis des Marine-Chronometers und der verwandten Beobachtungsuhr nach wie vor Anspruch und Verpflichtung für jede Glashütter Marke.
Das gilt besonders im nun bereits 175. Jahr, in dem die Glashütter einmal mehr ihre Expertise unter Beweis stellen, wie zum Beispiel Glashütte Original mit der "Senator Chronometer – Limitierte Edition" in Weißgold mit Gangreserveanzeige und Panoramadatum, oder Nomos Glashütte mit der limitierten Sonderedition "Ludwig – 175 Years Watchmaking Glashütte".
Die drei Modelle sind nach Chronometerwerten reguliert, wie Geschäftsführer Uwe Ahrendt, wissen lässt. "Nomos-Uhren sind extrem zuverlässig, ganggenau und übererfüllen den hohen Anspruch, der seit jeher für feine mechanische Uhren aus Glashütte gilt. Dem Erbe des Ortes haben wir uns mit allem, was wir bei Nomos Glashütte tun, verpflichtet. Denn was Uhrmacher, Werkzeugmacher, Konstrukteure in Glashütte seit 175 Jahren leisten, dieses besondere Maß an Kenner-und Könnerschaft, verdient es, gewürdigt zu werden." sz
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