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175 Jahre Uhrmacherei in Glashütte: Nach der Wiedervereinigung

A. Lange & Soehne: Triple Split
© PR
2020 feiert Glashütte 30 Jahre Renaissance der feinen mechanischen Uhrmacherei. Im Jahr der deutschen Wiedervereinigung 1990 knüpften die ersten Manufakturen an die in Sachsen tief verwurzelte Tradition des meisterlichen Uhrmacherhandwerks an und führen seither das historische Erbe in der Gegenwart fort. Heute steht Glashütte nicht nur als ein Synonym für Uhrmacherkunst auf höchstem Niveau, sondern auch als ein Exempel für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort im Osten der Republik.
Mit Superlativen sollte man vorsichtig sein. Gebraucht man sie zu häufig, nutzen sie sich ab, und das Gegenteil wird erreicht. Ein Motto, das insbesondere auf die Welt von Luxusprodukten und Statussymbolen zutrifft. Wenn die Rede von Glashütte ist, häufen sich die Superlative: Uhrmacherkunst vom Feinsten. Exquisiteste Ausstattung. Höchste Präzision. Schönstes Design. Uhrenliebhaber auf der ganzen Welt sind sich einig, dass Superlative in diesem Fall berechtigt sind, da sie der Realität entsprechen. Obwohl das beschauliche Städtchen im Osterzgebirge nur wenigen bekannt sein dürfte, hat der Name in Kennerkreisen einen einzigartigen Klang. Der Schriftzug »Glashütte i/SA« auf dem Zifferblatt ist ein Qualitätssiegel, das für Luxus und für eine von Innovationen geprägte Uhrmachertradition steht.
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Grande Cosmpolite Tourbillon von Glashütte Original (2012), Preis: 325.000 Euro. © PR
"Die Stadt ist heute in der Welt der Uhren das, was für den Schinken Parma oder für den Schaumwein die Champagne ist", sagte einst der Gründer von Nomos Glashütte, Roland Schwertner. Dem ehemaligen IT-Experten aus Düsseldorf gelang mit dem Wiederaufbau einer alten Glashütter Marke eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht. In weniger als zwei Jahrzehnten hat sie sich zu einer erfolgreichen Manufaktur mit eigener Werkeproduktion, bemerkenswerter Fertigungstiefe und technologischer Unabhängigkeit entwickelt.

Die Elite des deutschen Luxus

Nomos Glashütte ist nur ein Beispiel und nur einer von vier Namen im Ranking einer Studie über Deutschlands Top-20-Luxusmarken, die das Manager Magazin alle zwei Jahre gemeinsam mit zwei Branchenunternehmen erhebt. Angeführt wird die Luxus-Elite von der sächsischen Uhrenmarke A. Lange & Söhne, gefolgt von Glashütte Original auf dem zweiten Platz. Auch Juwelier Wempe, der vor Ort eine eigene Uhrenmarke und -produktion sowie das einzige offizielle Chronometerprüfinstitut Deutschlands installiert hat, ist mit von der Partie. Hierbei darf man nicht außer Acht lassen, dass die genannten Hersteller ihr Renommee nach der Wende in Rekordzeit erlangten. Im Spannungsfeld von Tradition und Transformation steht Luxus aus deutschen Landen laut der Studie nicht für "Prunk, Protz und Gloria", sondern für Substanz und Perfektion.
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Hamatic von Moritz Grossmann (2019), Preis auf Anfrage. © PR
Diese beiden Stichworte bringen die Essenz Glashütter Uhrmacherei auf den Punkt. Substanz, die auf 175 Jahre Tradition und Kompetenz aufbaut, und Perfektion als Ideal für ein Produkt mit hoher Wertschöpfung, dessen Natur in höchstmöglicher Präzision – sowohl in technischer als auch in ästhetischer Hinsicht – liegt. Wie einst dem Gründervater Ferdinand Adolph Lange und seinen tüchtigen Mitstreitern, wie Carl Moritz Grossmann, Julius Assmann und Adolf Schneider, mit denen er im 19. Jahrhundert in dem abgeschiedenen und verarmten Winkel Sachsens eine Uhrenindustrie von Weltrang aufgebaut hat, gelang hier im Kontext der neu erwachten Nachfrage nach hochwertiger Mechanik eine fast märchenhafte Erfolgsgeschichte. Dieses kleine Wirtschaftswunder ist visionären Köpfen, die das Potenzial der einzigartigen Geschichte erkannten, und den unerschütterlichen Glashüttern, die, wie es in ihrer Natur liegt, die Ärmel hochkrempelten und klotzten statt kleckerten, zu verdanken. Was andernorts in der ehemaligen DDR misslang – die blühenden Landschaften, die Bundeskanzler Helmut Kohl bei der Wiedervereinigung 1990 versprochen hatte – nahm hier Gestalt an – in Form eines florierenden Standorts mit einer Wertschöpfung à la Made in Germany, ja sogar einem eigenen Qualitätsstandard »Made in Glashütte«, der, ähnlich wie das Genfer Siegel, auf die Region beschränkt ist und von deren Güte zeugt.
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Hommage von Tutima Glashütte (2011), Preis: 185.000 Euro. © PR

Das Vermächtnis der Planwirtschaft

Der Weg dahin war nicht einfach. Wie überall im Osten brach nach der Wiedervereinigung und der damit einhergehenden Währungsunion die auf Autonomie ausgerichtete Planwirtschaft völlig zusammen. Wie fast alle Industriezweige konnte die Glashütter Uhren- und feinmechanische Industrie, die während der Zeit hinter dem Eisernen Vorhang mit über 1.000 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber in der Gegend war und Armbanduhren, Marinechronometer und Zeitmessinstrumenten aller Couleur fertigte, nicht mit den internationalen Maßstäben mithalten. 1989 betrug die Jahresproduktion um die 220 Millionen Mark. Doch trotz gleichbleibender Arbeitskraft sanken die Einnahmen stetig, da sich Markt- und Preissituation drastisch veränderten. Unrentable Bereiche, wie die Fertigung von Quarzuhren und Schwingquarzen, fielen der freien Marktwirtschaft zum Opfer. Auch die für den Eigenbedarf der ostdeutschen Wirtschaft produzierten feinmechanischen Produkte waren zum größten Teil technisch veraltet und mussten aufgegeben werden. Am 16. Oktober 1990 entstand unter Aufsicht der Treuhand aus dem VEB Glashütter Uhrenbetriebe (GUB) als offizieller Rechtsnachfolger die Glashütter Uhrenbetrieb GmbH, die nach erfolglosen Privatisierungsversuchen 1994 unter Heinz W. Pfeifer als Inhaber und Geschäftsführer neu ausgerichtet wurde.
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1990: Nach der deutschen Wiedervereinigung entsteht am 16. Oktober 1990 aus dem VEB Glashütter Uhrenbetriebe als offizielle Rechtsnachfolgerin die Glashütter Uhrenbetrieb GmbH. Die Zeitmesser tragen den Markenname »Glashütte Original«. © PR
Mit großem Geschick gelang es dem findigen Unternehmer, die Firma von einst billiger Massenproduktion auf das Niveau einer Haute-Horlogerie-Manufaktur mit großer Fertigungstiefe und anspruchsvollen Komplikationen zu heben. Dank innovativer Bravourstücke, inspiriert von der Tradition sächsischer Uhrmacherei, wurden unter dem Markennamen Glashütte Original neue Maßstäbe gesetzt.
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Seit dem Jahr 2000 gehört die Luxusuhrenmanufaktur, die in Pforzheim zudem eine eigene Zifferblattmanufaktur besitzt, zur Swatch Group. © PR

Alte Meisterwerke in neuem Glanz

Hierzu zählte zum Beispiel das 'Alfred Helwig Tourbillon' (1996), benannt nach dem Meisteruhrmacher und Lehrer der ehemaligen Uhrmacherschule, der 1920 das 'fliegende Tourbillon' erfand. Parallel dazu etablierte Pfeifer die Marke Union Glashütte. Bezogen auf die historische Persönlichkeit Johannes Dürrstein spezialisierte sie sich auf raffinierte Mechanikmodelle im Premiumbereich.
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1996: Die Union Uhrenfabrik GmbH, die sich auf die historische Person Johannes Dürrstein beruft, wird als Tochterunternehmen der Glashütter Uhrenbetrieb GmbH neu gegründet. © PR
Im Jahr 2000 kam sie – wie auch Glashütte Original –mit der Übernahme der Glashütter Uhrenbetrieb GmbH durch die Swatch Group in diesen Uhrenkonzern und wurde hier 2008 als eigenständiges Unternehmen und eigenständige Marke etabliert. Die Swatch Group ermöglichte die erfolgreiche Internationalisierung beider Marken. Glashütte Original ist heute in 40 Ländern erhältlich, verfügt über ein beachtliches Netz an Boutiquen und eine eigene Zifferblattmanufaktur in Pforzheim.
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Im Jahr 2000 übernimmt die Swatch Group beide Unternehmen. Seit 2008 wird Union Glashütte als eigenständige Marke mit eigener Produktion und Kollektion geführt. © PR
A. Lange & Söhne, der wohl berühmteste Name Glashütter Feinuhrmacherei, kehrte ebenfalls im Jahr 1990 nach 50 Jahren Zwangspause zurück. Exakt 145 Jahre nach der Gründung der ersten Lange’schen Manufaktur meldete Walter Lange, der Urenkel von Ferdinand A. Lange, mit Unterstützung der Uhrengruppe LMH-Mannesmann die Lange Uhren GmbH an. Als gelernter Uhrmacher hatte er nach dem Zweiten Weltkrieg noch selbst den Wiederaufbau des familiären Betriebes mitgestaltet, bis die Enteignung nach dem Krieg den Hoffnungen ein Ende setzte.
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Die Luxusuhrenmanufaktur, deren Lange 1 der Renaissance Glashütter Uhrmacherkunst ein Gesicht verleiht, gehört heute zur Richemont-Gruppe. © PR

Die Legende wird wieder Uhr

In Günter Blümlein von der IWC fand Walter Lange einen begeisterungsfähigen und kompetenten Verbündeten für den Neustart. Unter der Leitung von Hartmut Knothe wurde die 'Legende wieder zur Uhr'. Die Präsentation der ersten vier Modelle im Oktober 1994 übertraf alle Erwartungen. Die Armbanduhr Lange 1 mit der dezentralen Zeitanzeige und dem von der Fünf-Minuten-Uhr in der Semperoper inspirierten Großdatum ist seither das Gesicht der Marke. Der Name steht heute wieder für hohe Innovationskraft, Handwerkskunst und virtuose Komplikationen, wie die der Grand Complication (2013) mit großem und kleinem Geläut, Minutenrepetition, Ewigem Kalender und Rattrapante-Chronograph. Aus dem Pionierteam sind mittlerweile etwa 770 Mitarbeiter geworden. A. Lange & Söhne hat sich in über 60 Ländern als eine exklusive Uhrenmarke etabliert.
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A. Lange & Söhne © PR
Im Fahrwasser dieses durchschlagenden Erfolges tauchten nach und nach altehrwürdige Namen und vielversprechende Newcomer in der Glashütter Uhrenszene auf. Den Anfang machte Nomos Glashütte 1990. Kurz nach dem Mauerfall gründete Roland Schwertner das Unternehmen.
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Die Tangente gilt als Ikone © PR
Bereits 1992 wurden die ersten vier von heute zwölf Grundmodellen ausgeliefert – Tangente, Orion, Ludwig und Tetra. Vor allem die schlichtschöne, von Bauhaus und Werkbund inspirierte Tangente gilt als Klassiker. Mit der Vorstellung eines eigenen Reguliersystems 2014 versetzte die Manufaktur die Fachwelt in Erstaunen.
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Nomos Glashütte ist mit der Fertigung von 15 eigenen Kalibern und einem eigenen Assortiment eine echte Manufaktur. © PR

In Glashütte beginnt die Zeitrechnung neu

Ein Beispiel für herausragenden Erfindergeistes und feinmechanische Expertise ist auch die robuste, gegen Erschütterungen gesicherte Spechthalsfeinregulierung, die Mühle-Glashütte 2003 vorstellte. Die Firma, die seit über 150 Jahren zu den großen Protagonisten der Stadt zählt, wurde 1994 von Hans-Jürgen Mühle neu gegründet. Sie hat sich auf nautische Instrumente, sportliche Modelle und robuste Einsatzzeitmesser spezialisiert.
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Zunächst werden traditionelle Schiffsuhren und Marine-Chronometer gefertigt, seit 1996 auch Armbanduhren. Heute wird das Unternehmen in fünfter Generation von Sohn Thilo Mühle geleitet. © PR
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Besondere Bekanntheit erlangte Mühle mit der inhouse gerfertigten Spechthalsfeinregulierung und den S.A.R. Rescue-Timern. © Mühle-Glashütte
Auch Juwelier Wempe reaktivierte seine Verbindungen zum sächsischen Uhrenmekka, die bis an den Anfang des 19. Jahrhunderts zurückreichen. 2005 erwarb Kim-Eva Wempe die alte Sternwarte auf dem Ochsenkopf und richtete dort eine topmoderne Produktionsstätte zur eigenen Uhrenfertigung und die derzeit einzige deutsche Prüfstelle für Chronometer ein.
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2005: Juwelier Wempe kauft die alte Sternwarte und baut sie als wissenschaftliche Institution neu auf. Darin befindet sich seither die einzige deutsche Prüfstelle für Chrononmeter. © PR
In Zusammenarbeit mit dem Landesamt Thüringen und dem Sächsischen Landesamt für Mess- und Eichwesen wurden sogar striktere Kriterien und Prüfungen als die der Schweizer COSC erarbeitet.
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Seit 2006 werden dort auch Armbanduhren der Linien »Wempe Glashütte I/SA Chronometerwerke« und »Wempe Glashütte I/SA Zeitmeister« sowie maritime Instrumente und Großuhren gefertigt. © PR
State of the Art ist auch der Firmensitz von Moritz Grossmann, der alle Abteilungen zur Konzeption und Fertigung einer Manufakturuhr in Luxusqualität beherbergt. 2008 gründete die Uhrmacherin Christine Hutter die Marke, die im Geist des historischen Vorbilds exquisite Zeitmesser von der ersten Konzeption bis zum fertigen Produkt herstellt. Berühmt sind die hochfeine Finissage der Manufakturkaliber und die Zeigerfertigung im eigenen Haus.
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2008: Unter der Federführung der Uhrmacherin Christine Hutter entsteht eine weitere Luxus-Manufaktur. Sie führt das Vermächtnis des historischen Uhrmachers Carl Moritz Grossmann fort. © PR
Eine Sonderstellung nimmt Tutima Glashütte ein. Sie ist die einzige Glashütter Marke, die auf eine ununterbrochene Produktion von über 90 Jahren zurückblicken kann und geht zurück auf die 1926 durch den Juristen Dr. Ernst Kurtz gegründete Uhren-Rohwerke-Fabrik Glashütte AG, kurz UROFA, und die Uhrenfabrik Glashütte AG, die im Zeichen der Armbanduhr standen. Die Spitzenqualitäten erhielten damals den Titel 'Tutima', lateinisch 'sicher'. Uhren mit diesem Signet erwarben sich dank ihrer überlegenen Technik einen ausgezeichneten Ruf, allen voran die Fliegerchronographen von 1941. Nach dem Krieg verlagerte Dr. Kurtz die Produktion in das niedersächsische Ganderkesee. Seit 1960 liegt die Leitung in den Händen von Dieter Delecate. Ein Highlight des West-Unternehmens war der Tutima Military Chronograph Ref. 798, der 1984 zur offiziellen Pilotenuhr der NATO gewählt wurde. Die alte Bahnhofsmeisterei dient dem Unternehmen seit 2011 als Standort. Die erste vollständig in Glashütte gefertigte Uhr der Neuzeit ist die Dr. Kurtz gewidmete Hommage, die erste Glashütter Armbanduhr mit Minutenrepetition.
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2011: Tutima Glashütte feiert die offizielle Wiederaufnahme des Manufakturbetriebs an der Müglitz. Die Firma hat ihren Sitz im Gebäude der alten Bahnhofsmeisterei. © PR
Glashütte wird heute dem Vermächtnis, "die präzisesten und schönsten Uhren der Welt zu bauen" mehr als gerecht. sz
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