Kenner alter Fliegeruhren haben die Marke Glycine, die heute Glycine Watch SA heißt, nie ganz aus den Augen verloren. Mit der Glycine Airman, erstmals vorgestellt 1953, erobert das Bieler Unternehmen in den 1950er- und 60er- Jahren den Weltmarkt.
Diese Pilotenuhr verdankt ihren sensationellen Erfolg wohl in erster Linie ihrer geistigen Geburtsstätte: Ihr Design entsteht mehr oder weniger im Cockpit. Denn Samuel W. Glur, damals ein wichtiger Vertriebsmitarbeiter von Glycine Altus, so der frühere Name, darf auf einem seiner zahlreichen Flüge von Bangkok nach Kalkutta im Cockpit der DC 4 von Thai Airways Platz nehmen und plaudert angeregt mit den britischen Piloten über Beschaffenheit und Funktionen einer idealen Pilotenuhr. Die gebe es, so die Meinung der Piloten, zurzeit nicht auf dem Markt. In Kalkutta hat Glur aufgrund politischer Unruhen einen längeren Aufenthalt und er nutzt ihn, um seinem Chef einen langen Brief zu schreiben, in dem er die Anforderungen der idealen Pilotenuhr beschreibt: wasserdicht, Automatikwerk, Kalender; ganz wichtig sind ein 24-Stunden-Zifferblatt und eine Lünette mit einer zweiten Zeitzone.
Die Glycine Airman ist eine der ersten Weltzeituhren
Inhaber von Glycine Altus ist zu dieser Zeit Charles Hertig. Als er den Brief seines Mitarbeiters liest, greift er die Anregung auf und lässt die erste Glycine-Uhr mit 24-Stunden-Zifferblatt entwickeln und in den USA präsentieren. Die nächsten 25 Jahre wird Glycine Airman-Uhren produzieren, in mindestens 18 verschiedenen Modellen. Die Uhren sind mit Schweizer Felsa-Werken ausgestattet und überzeugen durch ihre Zuverlässigkeit und Robustheit. Glycine hat einen echten Coup gelandet: Die Airman ist einer der ersten Weltzeituhren überhaupt. Der Erfolg ist immens: Die Jahresproduktion von Glycine Altus beträgt um die 60 000 Uhren während der späten 50er- und frühen 60er-Jahre. Die Marke findet vor allem beim Personal der U. S. Air Force viele Anhänger. Aus dieser Zeit stammen etliche Fotos von Piloten, an deren Handgelenk eine Airman zu erkennen ist. Diese Aufnahmen sind heute ein wichtiges Marketingelement der Glycine Watch SA.
Die Uhrenmarke Glycine wird wieder erweckt
Viele Jahrzehnte lang liegt die Marke Glycine im tiefsten Dornröschenschlaf. Zwar werden seit hundert Jahren ununterbrochen Uhren hergestellt, doch lange Zeit handelt es sich dabei nur um Quarzuhren in relativ geringer Stückzahl. Heute ist die Marke im deutschsprachigen Raum fast völlig in Vergessenheit geraten. Das soll sich ändern. Denn Glycine startet durch.
Der Schweizer Stephan Lack, CEO der Firma, hat sich vorgenommen, an vergangene ruhmreiche Zeiten anzuknüpfen und Glycine als Marke auch im deutschsprachigen Raum wieder bekannter zu machen. Dafür hat er sich einen starken Partner gesucht: die DKSH, einen Schweizer Mischkonzern, der sowohl Dienstleistungen als auch Handelsvertretungen im Portfolio hat und vor allem in Asien über langjährige Erfahrungen verfügt. Lack und die DKSH haben sich 2011 als Partner verbündet, Lack kennt das Unternehmen aber bereits länger. Mit Glycine Watch SA hat die DKSH nun die zweite Uhrenmarke im Portfolio, an der sie die Mehrheitsanteile hält. Bereits 2006 ist der Konzern eine Partnerschaft mit Maurice Lacroix eingegangen. Während Maurice Lacroix das Segment Luxusuhren mit eigenen Kalibern und ausgefallenen Komplikationen bedient, wendet sich Glycine Watch SA mit ihrer Kollektion an Uhrenfans mit technischem Interesse, die eine erschwingliche Schweizer Markenuhr schätzen.
So bewegen sich die Preise der neuen mechanischen Modelle um die 800 bis 3.900 Euro. Dafür bekommt der Kunde ein Schweizer ETA-Werk, je nach Modell modifiziert, das in Biel von einem Subunternehmer eingeschalt wird. Nur drei Uhrmacher beschäftigt das Unternehmen noch selbst am Standort in der ehrwürdigen Schweizer Uhrenstadt. Wie Stephan Lack erklärt, hat sich Glycine Watch zum Ziel gesetzt, die Jahresproduktion zunächst auf 10.000 Stück zu erhöhen. Von seinen Glanzzeiten ist das Traditionsunternehmen also noch weit entfernt. Wie die meisten Schweizer Uhrenbetriebe hat auch Glycine Watch SA eine wechselvolle Geschichte hinter sich.
Glycine kämpft: Erst in der Wirtschaftskrise, dann während der Quarzkrise
Gegründet wird es 1914 von einem Uhrmacher namens Eugène Meylan. Er bezieht eine schöne, mit Glyzinien bewachsene Villa mit einem großen, zweistöckigen Anbau für die Produktion in Biel. Der Blumenschmuck der Fassade wird zum Namensgeber und ist auch heute noch Markenzeichen des alten Stammhauses. Meylan konstruiert und baut hochwertige Damenuhren, präzise und im Miniaturformat. Von 1920 existiert eine Aufnahme des Ateliers, in dem rund 20 Uhrmacher an den Werktischen arbeiten.
Wie viele Unternehmen kämpft Eugène Meylan mit den Folgen der Weltwirtschaftskrise, aber es gelingt ihm, seine Firma über Wasser zu halten. So zählt Glycine zu den ersten 29 Ausstellern der Basler Messe 1938 – und ist bis heute jedes Jahr vertreten. Zwar kann Meylan weiterhin mit technischen Innovationen auftrumpfen – so präsentiert er 1931 sein erstes Automatikwerk und entwickelt ein Chronometer – doch die Weltwirtschaftskrise kostet ihn das Unternehmen. Glycine produziert in kleinerem Maßstab weiter, geht aber durch verschiedene Hände und wird schließlich 1953 von Charles Hertig gekauft. Dieser gewiefte Geschäftsmann hat den richtigen Riecher für Trends und bringt das Unternehmen mit der Airman zu seiner Blüte. Zeitweise unterhält Glycine sogar ein eigenes Verkaufs- und Service-Büro in den USA. Kein Wunder, dass heute die meisten Sammler ebenfalls aus den USA stammen. Die nächste Krise, diesmal die massenhafte Verbreitung von Quarzuhrwerken, lässt die Umsätze schrumpfen und Glycine führt wieder ein Schattendasein. Eigentümer wird 1984 Hans Brechbühler, dessen Tochter Katharina 1992 in das Geschäft einsteigt. Zusammen beschließen sie in den späten 90er-Jahren, die Produktion von mechanischen Uhren wieder aufzunehmen und knüpfen 1998 mit einem neuen Modell der Airman an alte Zeiten an. 2011 geht das Unternehmen dann an Stephan Lack und zwei weitere Eigentümer, die ihre Anteile aber kurz darauf an die DKSH verkaufen.
Glycine verfügt neben der Airman noch über zwei weitere Modelllinien
Heute bietet Glycine Watch SA drei Hauptmodelllinien an: Airman, F104 und KMU. Für Nostalgiker und Puristen dürfte die Airman 1953 Vintage am interessantesten sein, die mit ihren 42 Millimetern Durchmesser in der Reihe von meist großformatigen Fliegeruhren recht zierlich daherkommt. Charakteristisch ist die Arretierung für die Lünette direkt unter der Krone. Sie wirkt wie der Drücker eines Chronographen, ist aber nur dafür da, die Lünette auf der richtigen Position der gewählten zweiten Zeitzone zu halten.
Begehrt sind die Chronographen, der klassische Airman Chrono 08 und der sportliche Airman SST Chronograph, der mit einem orangeroten Ring eine dritte Zeitzone anzeigen kann. Die Linie KMU 48 mit Handaufzug stammt noch aus der Ära von Vater und Tochter Brechbühler. Der Durchmesser von 48 Millimetern sorgt im Erscheinungsjahr 1999 für großes Aufsehen. Das Design lehnt sich an das klassisch-schlichter Militäruhren an. Auch unter der neuen Ägide Lack/DKSH wird die Linie KMU weiter entwickelt. Als zweite Automatiklinie gibt es mit der F104 eine weitere Fliegeruhr in der Kollektion, zum Beispiel mit einem Modell mit 40-Millimeter-Edelstahlgehäuse. Die meisten technischen Weiterentwicklungen steckt das Unternehmen aber in seine Ikone, die Airman.
Die Ikone von Glycine: Airman
Einen spektakulären Auftritt hat die Airman 7 auf der Baselworld 2002, und das nicht nur aufgrund ihres riesigen Durchmessers von 53 Millimetern: Als eine der ersten Uhren mit drei getrennten Automatikwerken zeigt sie permanent die Zeit in vier verschiedenen Zeitzonen an: Die Airman Airfighter, präsentiert auf der Baselworld 2014, überzeugt viele Fans von Fliegeruhren mit dem patentierten Schieber zum Steuern der Chronographenfunktion, der links angebracht ist. Somit kann er bequem mit dem Daumen der rechten Hand bedient werden, und zwar zum Starten und Stoppen nach oben sowie zum Nullstellen nach unten. Ganz in der Airman-Tradition stehend, zeigt das Zifferblatt 24 Stunden an. Über einen 24-Stunden-Zeiger sowie über die Lünette werden eine zweite und eine dritte Zeitzone angezeigt. Angetrieben wird die Airfighter von dem Automatikwerk ETA/Valjoux 7754.
»Wir sind auf einem guten Weg, aber es ist noch sehr viel zu tun«, erklärt CEO Stephan Lack. Er kennt den asiatischen Markt aus dem Effeff, denn er hat jahrelang Vertriebsstrukturen für Schweizer Uhren in China, Südostasien und Japan aufgebaut. »Die Vorlieben sind je nach Region in Asien sehr verschieden«, erklärt er. Ihn faszinieren besonders der japanische und der italienische Markt: »Wenn eine Uhrenmarke in diesen Ländern Interesse wecken kann, hat sie schon viel gewonnen«, ist er überzeugt. Japaner seien eher für die Technik und die Qualität zu begeistern, Italiener liebten gutes Design. Stephan Lack plant, der Fliegeruhrentradition treu zu bleiben: »Das ist der Kern der Marke.« Die Zusammenarbeit mit der DKSH gebe viel Rückhalt, denn es sei immer gut, »in dem Haifischbecken des internationalen Uhrenmarktes mit einem großen Bruder mit zu schwimmen.«
Text: Katrin Nikolaus Fotos: HerstellerFortlaufend aktualisierter Artikel, ursprünglich online gestellt am 8. Januar 2015.
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